Blog Post
Vor dem Schmecken steht das Riechen
BODOLZ- „Genial!“ – „Fantastisch!“ – „Sowas Gutes habe ich noch nie getrunken!“ Acht Abonnenten der Lindauer Zeitung waren sich einig: Der Abend in Robert Gierers Probierstube waren rundum gelungen. Zwei Stunden lang hatten sie viel Wissenswertes über die Kunst erfahren, den Geschmack der Frucht möglichst rein ins Glas zu bringen.
Dabei ist es übrigens fast nebensächlich, dass da Alkohol im Spiel ist. Denn fürs Saufen sind Gierers Edelbrände viel zu schade. Und sie funktionieren auch ohne Trinken, wie der Meister beweist, als er ein Glas Elvados – ein Apfelbrand nach Calvadosart aus sortenreinem Elstar – ausschüttet und solange ausschlägt, bis wirklich kein Tropfen mehr drin ist. Reihum halten die Gäste ihre Nase in das Glas und staunen: Der Alkohol ist verflogen, und man riecht auch noch nach vielen Minuten die reine Frucht. So gibt es angeblich sogar Menschen, die seine Brände nur riechen und wegen des Alkohols gar nicht trinken. Gierer beschert seinen Gästen an diesem Abend solche Sinneserlebnisse gleich mehrfach. Zuvor aber erklärt er, dass seine Familie in vierter Generation auf dem Hof Schnaps brennt, wie viele andere Obstbauern am See auch. Gierer freut sich, dass nicht nur er vor 15 Jahren beschlossen hat, mehr aus den Früchten rauszuholen. Insgesamt hätten die Kleinbrenner der Region enorm an Qualität zugelegt. Ging es den Brenner früher vor allem darum, aus den kaputten Früchten, die sie nicht verkaufen konnte, noch ein wenig Geld zu machen, nimmt Gierer heute nur die besten Früchte. Äpfel lässt er extra etwas länger hängen, weil sie überreif noch viel mehr Geschmack abgeben. Doch vor dem Trinken steht das Glas, das laut Gierer entscheidend für das Geschmackserlebnis ist: Der selbe Brand schmecke aus verschiedenen Gläsern unterschiedlich. Am besten geeignet sind tulpenförmige Gläser, denn sie bündeln die Aromen. Mit langem Stiel kann man sie gut an die Nase halten. Denn bevor man trinkt, sollte man erst viel riechen. Immer wieder halten die Gäste dieses Abends ihre Nase in die Gläser. Nipperleweise genießen „Ich stelle mir dann die Frucht vor“, erzählt Gierer, und so tauchen Williams-Birne, Elstar-Apfel, Sauerkirche oder Aprikose vorm inneren Auge der Gäste auf. Bei der Schlehe später wird das schon schwieriger, denn viele wissen gar nicht, wie diese fast schwarze Frucht aussieht. Doch als die Aufforderung zum Nippen kommt, sind alle wieder dabei. Denn einen Giererschen Brand darf man nicht runterstürzen, den muss man Nipperle für Nipperle genießen – und immer wieder riechen. Dann merkt nicht nur der Feinschmecker, dass der Williams stark duftet und schmeckt, dass die Aprikose dagegen eher schwach an der Nase ist, dafür am Gaumen explodiert, wie Gierer es formuliert. Sauerkirsche und Elvados sind die weiteren Brände. Während beim Brand der Alkohol durch Vergärung während der Maische entsteht, gibt es Früchte, die dafür nicht ausreichend Fruchtzucker haben. Waldhimbeeren, Haselnüsse, Orangen oder Schlehe legt Gierer deshalb in fast hundertprozentigen Alkohol ein, damit der die Aromen daraus annimmt. Nach wenigen Tagen beginnt dann auch bei diesen „Geist“ genannten Getränken der Prozess, der bei Gierer die Aromen ins Glas bringt. Weil ein gutes Essen mit einem Dessert und Kaffee endet, kredenzt Gierer noch Aprikosen- und Kaffeelikör, die so gar nichts vom sonst oft einfach süßen und klebrigen Likör haben. Und betrunken ist auch keiner, obwohl fast jeder zehn Gläser geleert hat. Denn hier kommt es wirklich nicht auf die Menge an, Geruch und Geschmack steht über allem.